Der Trost der Photographie
WIM WENDERS und PHOTOGRAPHIE
„Es gibt keine schönere Analogie zur Beschreibung der allgemeinen Anpassung an die Hegemonie als den Übergang der Photographie vom analogen zum digitalen Zeitalter. Das digitale Bild ist gleichsam vom Negativ und von der wahrhaftigen Welt beraubt." (Jean Baudrillard)
Wenn man über die Verbindung von Photographie und Film sprechen will, könnte man es sich leicht machen und lediglich die chronologische Abfolge der Entwicklung beider Medien aufeinander beziehen: Also zunächst das unbewegte Bild, welches dann in Bewegung gesetzt wird, indem viele Einzelbilder einer Handlung aneinandergehängt werden. Im Kino: vierundzwanzig Bilder in der Sekunde. Doch verkennt man mit jener rein technologischen Betrachtungsweise, wie stark sich die beiden Medien im Laufe der Zeit voneinander losgelöst haben, um sich zu unterschiedlichen Kommunikations- und Kunstformen zu entwickeln.
Walter Benjamin schrieb in seinem Kunstwerk-Aufsatz, dass das Bild des Malers einen Standpunkt habe, wohingegen man dem Film keinen mehr zuordnen könne. Zusammengestückelt aus vielfältigen Teilen, zusammengehalten durch ein neues Gesetz der Durchdringung: „Magier und Chirurg verhalten sich wie Maler und Kameramann. Der Maler beobachtet in seiner Arbeit eine natürliche Distanz zum Gegebenen, der Kameramann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegebenheit ein.“ Film und Bild als völlig verschiedene Momente der Darstellung. Der Film als Überhöhung der Wirklichkeit hin zu einer neuen Wirklichkeit. Dies zeigt sich auch deutlich, wenn man die Unterschiede im Produktionsprozess betrachtet. Das im Idealfall intime Verhältnis des Photographen zu seinem Objekt, der instantane Moment des Ablichtens, steht dem in einem eigenen Kosmos agierenden Filmteam gegenüber, welches Stück für Stück, in einem Zusammenspiel aller kreativen Kräfte einen Film zusammensetzt. Niemand kann alleine einen Film drehen. Für die eine große Aufnahme, das berührende Bild, braucht es dagegen nur eine Kamera, Zeit und Geduld. Doch scheint genau diese Grenzziehung ins Wanken geraten zu sein. Und dieser Wandel ist auch das große Thema in Wim Wenders neuem Film PALERMO SHOOTING (2008) , mit dem er sich vierunddreißig Jahre nach ALICE IN DEN STÄDTEN (1974) wieder dem Thema der Photographie widmet.
Die heutige digitale Photographie überschreitet in vielfacher Hinsicht die ursprünglichen, engen (formalen) Grenzen des photographischen Mediums. Bilder werden gebaut, zusammengesetzt und manipuliert. Die technischen Möglichkeiten erstrecken sich zurück bis zum Urakt: dem Schießen des Photos. Die Abbildung ist bereits an dieser frühen Stelle ausgewählt, sie ist unzählige Male überprüft und aus den unendlichen Versuchen ausgewählt. Kurz: Auch die Photographie hat keinen eindeutigen Standpunkt mehr. Man kann dieser Entwicklung nun positiv oder negativ gegenüberstehen. Für beide Seiten gibt es Argumente. Fest steht aber, dass sich Film und Photographie, wenn man es aus der Sichtweise Walter Benjamins betrachtet, einander wieder annähern. Zu denken ist hier etwa an die Photographien Jeff Walls. Niemals hätte der Photograph diese ganz spezielle Morgensonne am Mies van der Rohe Pavillon von Barcelona festhalten können, wenn er nicht über Tage jeden Morgen einzelne Bilder gemacht hätte, um sie später wieder zusammenzufügen. Noch radikaler geht der Photograph Andreas Gursky mit Raum und Zeit um. In seinen Bildern werden Häuserfronten in Strandpromenaden eingefügt, Wolken aus dem Himmel genommen, Menschen vervielfältigt. Es ist nicht mehr unmöglich einen ganzen Tag in ein Bild zu bannen, Überlagerungen, Schnitte, Montagen zu setzen. Der Film im Bild.
Und das Bild im Film? Im Kino spielen Photographien immer schon eine große Rollen. Die Tatortphotos in David Finchers SE7EN (1995) als Abbilder des Schreckens, die sich bis in die Privatsphäre der Polizisten ziehen, als große Metapher in Wayne Wangs Smoke, oder als Narrativ in Antonionis BLOW UP! (1966). Und dann gibt es da eben noch Wim Wenders.
„Dies ist ein schönes Photo, es ist so leer.“ (Alice in Alice in den Städten)
Schon in ALICE IN DEN STÄDTEN ist das Photo ein wichtiger Teil der Filmhandlung und Anlass für die schönsten Dialoge. Eigentlich hätte Journalist Philip Winter eine Reportage über Amerika schreiben sollen. Jedoch ist alles, mit dem er von seiner Reise zurückkommt, eine Reihe von Polaroidaufnahmen. Der einzige Weg seiner Schreibblockade zu entkommen und doch einen Teil der Welt abzubilden – die Kamera in seinen Händen. Und täuscht es? Am Ende stehen Alice und Philip eingerahmt von Fenster des Zuges, der sie nach München bringen wird, wie in einer Photographie. Ein Symbol der Vergänglichkeit. Bald werden die beiden getrennte Wege gehen, sich vielleicht nie wieder sehen. Diese Symbolik finden wir in deutlichen Variationen in PALERMO SHOOTING wieder. Finn, der versucht den Tod mit seiner Kamera festzuhalten, einen Beweis zu liefern, dass dieser hinter ihm her ist. Er, der vorher vielmehr komponiert als fotografiert hat, begnügt sich nun mit einer „einfachen“ analogen Kamera. Es ist der Versuch sich wieder dem Jetzt anzunähern, welches ihm vorher ständig entglitten ist.
Man kann aber auch andere, weniger offensichtliche Beispiele im Werk von Wenders heranziehen. DON’T COME KNOCKING (2005) etwa, seine zweite Zusammenarbeit mit Sam Shepard, die ganz offensichtlich eine Auseinandersetzung mit der photographischen Ästhetik des Malers Edward Hopper ist. Über diesen Meister schrieb Wenders einmal, er habe gegen die Photographie angemalt. Vielleicht photographiert Wenders in diesem Sinne heutzutage gegen den Film an. Denn während er sich in seinem filmischen Schaffen zunehmend den digitalen Möglichkeiten öffnete, blieb sein photographisches Werk bis auf einige „Experimente“ rein analog. In den letzten Jahren sind Wenders’ Photographien auch zunehmend in den Focus der Öffentlichkeit gerückt.
So findet auch sein Bildband Pictures from the surface of the earth gar Eingang in seinen neuen Film PALERMO SHOOTING: Eine Studentin wehrt sich vehement gegen ihren Dozenten Finn, der ihr Bild als „noch nicht fertig“, da zu unbearbeitet, kritisiert. Auf den Overheadprojektor legt sie dann eines von Finns Bildern – es handelt sich um die Photographie Entrance, Houston, Texas von Wim Wenders. Man sollte sich davor hüten, diesem Fakt allzu großes Gewicht beizumessen, jedoch stellt sich, ist man einmal auf dieses Selbstzitat aufmerksam geworden, unmittelbar die Frage: Diskutiert hier der Filmemacher Wenders sein eigenes Werk als Photograph? Der Filmkritiker Michael Althen spekulierte nach der Weltpremiere von PAELRMO SHOOTING in Cannes im Frühjahr 2008, Wenders werde sich nunmehr ganz der Photographie widmen. Dass Wenders auch in den kommenden Jahren noch Filme machen wird, steht außer Frage. Aber zweifelsohne bedeutet ihm die Photographie mit zunehmenden Alter immer mehr. Nicht zuletzt auch, weil sie ein Trost für all die nicht gemachten Filme ist.
Literatur:
Baudrillard, Jean: Pourquoi tout n'a-t-il pas déjà disparu?, Paris 2007.
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a. M., 2006.
Wenders, Wim: Pictures from the surface of the world, London 2007.
Filmquellen:
Antonioni, Michelangelo: Blow-up, 111 min., GB 1966
Fincher, David: Se7en, 127 min., USA 1995
Wang, Wayne: Smoke, 112 min., USA 1995
Wenders, Wim: Alice in den Städte, 107 min., Deutschland, 1974
Wenders, Wim: Don’t come knocking, 122 min., Deutschland ,2005
Wenders, Wim: Palermo Shooting, 108 min., Deutschland/Italien, 2008