Argumente in Bildern
KEN LOACH und POLITISCHES KINO
Von Sebastian Seidler
Viele der Filme von Ken Loach sind stille und doch wütende Interventionen. Unaufgeregt und trotzdem direkt, ohne dabei ihr Thema zu überhöhen. Die Übertreibung ist diesem Filmemacher fremd. Kühl und klar liegt der Blick auf dem Leid der kleinen Menschen. Die Bildsprache und die Dialoge sezieren auf bestechende Art und Weise den britischen Lebensstil, insbesondere die Lebensrealität der working class. Loach legt die Adern der Gesellschaft frei, die alle, die in ihr leben, durchziehen. Und so ist ein von Menschlichkeit getragener Wille in diesen Filmen. Ein Wille, etwas auszudrücken, einen Standpunkt gegenüber den Gegebenheiten einzunehmen, ohne selbst darin verloren zu gehen und fern davon in bloße politische Phrasen abzudriften.
Ein Kino jenseits von Richtig und Falsch
So weidet sich MY NAME IS JOE (1998) nicht an den Abgründen seiner Protagonisten. Man ist gar im Gegenteil dazu verleitet zu sagen, Loach zeige sie bloß – aber genau jenes scheinbare „bloß“ ist die große Kunst dieses Filmemachers. Die Figuren bleiben dabei stets im Zentrum und verkommen nicht zum einem Medium für das große Gefühl, weisen sie doch weit über sich hinaus. Man fühlt sich in seiner Anteilnahme regelrecht ertappt, kann sich nicht hinter den klassischen Stilelementen des Dramas verstecken. Nirgends ein schneller, auf Mitleid zielender Effekt, der einem einen Schutzmantel bieten könnte. Auch im Historienfilm THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY (2006) liegen die Nerven des dargestellten Konflikts vom Anglo-Irischen-Krieg in den 1920er Jahren bloß, wie bei einer Operation am offenen Leib. Die grüne Insel ist ein faktischer Schauplatz und wird nicht zum Dekor heldenhafter Szenen verklärt. Kein Moment Heroismus. In seinem kritischen Umgang mit britisch-irischer Geschichte bewahrt Ken Loach seine kühle und distanzierte Erzählhaltung und legt den Finger in die Kippstellen einer Moral - gut und böse, richtig und falsch verschwimmen. Damit ist dieser Film weit mehr als eine Geschichtsstunde. Die Gefahren des Widerstands, die Verhärtungen im System und die Opfer werden gleichsam ernst genommen.Auch wenn Loachs Sympathie häufig den Gescheiterten und Gefallenen gilt und er als Trotzkist ein erklärter Kapitalismus-Gegner ist, driften seine Filme dabei jedoch niemals in die blinde Propaganda ab. Der Vorwurf mangelnder Reflexion kann keine Basis für eine Kritik an seinem Werk sein sein: So wird auch die Hauptfigur in IT’S A FREE WORLD (2007) nicht nur als Opfer des Systems gezeigt, sondern selbst als ausführendes Zahnrädchen im Wettbewerb der Globalisierung. Eine Verstrickung, die nicht so leicht aufzutrennen ist. Es ist kein einfacher Blick auf die Dinge, den Ken Loach hier wirft. Einerseits also politisches Handeln, indem den Übersehenen eine Geschichte gegeben wird. Andererseits das Bewusstsein, dass die eigene Sicht auch zurückschlagen kann. Beides findet man bei diesem Filmemacher und Denker. Doch sollte man hier einmal innehalten, bevor man alles in ein stimmiges Ganzes fügt: Kann man eigentlich so selbstverständlich davon ausgehen, dass Filme eine Intervention darstellen können? Unter welchen Bedingungen kann ein Film politisch sein? Das dürften die Fragen sein, die man stellen muss, wenn man Loachs Äußerungen zu diesem Thema ernst nehmen will.
Die Verwebung von Kunst und Politik
Nur wahre Kunst kann Einschreiten. Bloße Unterhaltung bleibt eine Lüge, ein falsches Versprechen. Die realistische Abbildung verkommt zur Verdoppelung des Gegebenen, fügt nichts hinzu, setzt keinen Kontrapunkt. So oder so ähnlich hätte das wohl aus der Sicht Adornos heißen müssen. Aus dem Mund eines Philosophen, für den die Wahrheit im Kunstwerk lag. Negativ sollte dieses sein, keine Anleitung zum Leben geben, keine Bilder zeigen, sondern in der Distanz den Menschen erschüttern. Wie ein Blitz in uns einschlagen und unser Subjekt zu Fall bringen. Film, das war für die Kritische Theorie keine Kunst, sondern bloße Ideologie. Was passiert nun, wenn man diese Extremposition einmal umdeutet? Ist Kunst nicht immer auch politisch oder zumindest ein Politikum, wenn man sie kritisch betrachtet? Ken Loach ist der Auffassung, dass Kunst und Politik immer miteinander verwoben seien, da jeder Künstler aus einem bestimmten Hintergrund heraus etwas schafft. Jeder Regisseur trägt sein eigenes Objektiv vor sich her, mit welchem er die Welt filmt. Immer ist da eine Aussage über die Welt, ein Spielstein im Diskurs – sicherlich nur, wenn man das Schaffen auch so auffasst und nicht voreilig aus dem eigenen Sichtfeld verbannt. Selbst Hollywood ist dann Politik. Indem das Mainstreamkino seine Normen ausbuchstabiert, haben wir damit auch einen Standpunkt, einen Weltbezug. So nehme man nur die Sexualmoral vieler alter Horrorfilme: Promiskuität wird bestraft, Enthaltsamkeit mit dem Leben belohnt. Ein Argument in Bildern - so ließe sich diese Position wohl zusammenfassen.
Wer Liebeskummer hat, geht Schuhe kaufen
Loachs Filme stehen einer Industriemaschine der bewegten Bilder gegenüber, die in der Übermacht ist und allein aus diesem Fakt der Überzahl eine Deutungshoheit beanspruchen. Loach kritisiert, dass durch die Monopolstellung der großen Studios eine Asymmetrie entstanden sei, die schädlich für freie Filmschaffende ist. Risiko und radikale Kreativität werden schwierig, da die Finanzierung nur schwer zu sichern ist. Eine Seite der Waage hat das Übergewicht. Man kann befürchten, dass die Geschwindigkeit der Bilder das kritische Aufnahmepotential der Menschen übersteigt und sich eine neue Ästhetik durchsetzt. Eine neue Art, Dinge wahrzunehmen. Jean Baudrillard und Vilém Flusser sind Theoretiker, die in diesem Zusammenhang genannt werden können. Eine Realität, die nur noch konstruiert wird. Ein Leben, dass sich an den ästhetischen Konzeptionen der Kulturindustrie misst, sich daran orientiert. Wer Liebeskummer hat, geht Schuhe kaufen. Diese Haltung lässt sich auch aus der politischen Überzeugung dieses Regisseurs selbst ableiten und scheint durchaus konsequent. Dennoch ist die Frage, ob man das System mit einer Kritik dieser Art überhaupt noch treffen kann oder nicht vielmehr das Gegenteil dessen bewirkt, was man eigentlich wollte.
Das Entweder-Oder Kino
Wenn man eine qualitative Hierarchie zwischen Hollywood, dem vermeintlichen Publikums-Ausbeuter, und dem europäischen (oder Independent-)Kino aufbaut, steht schnell der Vorwurf des Kultursnobismus im Raum. Loach spricht sich radikal für das kleine Kino aus und sicherlich nicht zu unrecht. Dennoch wird hier ein Entweder-Oder installiert, welches die eigene Position zum neuen Gesetz macht. Das tiefgründige europäische Kino im Gegensatz zum nur an Profit interessierten Kino Amerikas. Die Avantgarde gegenüber der reaktionären Kunst. Es wäre nützlicher, den Diskurs hier zu erweitern und Argument für Argument mit einzubeziehen. Aus dem scheinbar Banalen seine Schlüsse zu ziehen und von innen oder durch Einbezug zu kritisieren. Damit ist man nicht der Kritiker in einem fremden Land, sondern gesellt sich mit absoluter Überzeugung auf die gleiche Augenhöhe. Man vermeidet den eigenen Fundamentalismus. Dies betrifft nur den künstlerischen Aspekt dieser Debatte. Bezogen auf die Monopolstellung aber, auf die Ökonomisierung des Filmgeschäfts, kann man Loach jedoch kaum widersprechen. Film nur als Ziffer in der Bilanz zu verrechnen, nimmt dem Schaffen einen unschätzbaren Freiraum.
Literatur:
Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 2008.
Adorno, Theodor W.: „Fernsehen als Ideologie“, in: Kulturkritik und Gesellschaft II, Frankfurt a.M. 2003.
Adorno, Theodor W.: „Prolog zum Fernsehen“, in: Kulturkritik und Gesellschaft II, Frankfurt a.M. 2003.
Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 2003.
Filmquellen:
Ken Loach, My name is Joe, GB 1998.
Ken Loach, When the wind shakes the barley, GB 2006.
Ken Loach, It’s a free world, GB 2007.
Weitere Quellen:
Kurzporträt bei SCREEN online
dctp Beitrag zu ITS A FREE WORLD bei YOUTUBE Teil 1
dctp Beitrag zu ITS A FREE WORLD bei YOUTUBE Teil 2