Resonanz und Räume
ANGELA SCHANELEC und RÄUME
Von Sebastian Seidler
Die Filme von Angela Schanelec sind einem Brennglas gleich, absolut unerbittlich. Nicht ob expliziter Gewalt oder pornographischer Provokation – all das findet nicht statt im Kino von Schanelec. Die filmische Darstellung des Lebens ist es, die sich dort vor unseren Augen zersetzt. Es wird gar nicht erst versucht die Realität in ihrer Fülle einzufangen und dennoch erkennt man in jeder Einstellung den Willen, ein Stück kühle Wahrheit aus den Bildern zu schälen. Diese Filme bewegen sich also in Differenzen, welche die geschlossene Filmoberfläche abtragen und den Blick auf Räume freigeben, in denen die Zeit und der Zuschauer mit ihnen atmen kann. So wird in gewisser Weise die Architektur des Films einsehbar und gelockert. Es ist fast so, als liefe neben den Filmen noch eine zweite, unsichtbare Filmrolle mit, also das, was wir normalerweise gewohnt sind zu sehen. Aus dieser Differenz entsteht die Spannung der Filme, daraus schöpft sich ihr Potential.
Die theatralische Distanz
Das Sprechen ist karg und distanziert, bleibt in seiner Monotonie immer ein wenig auf Abstand von den Figuren, denen diese Sätze in den Mund gelegt werden oder die sie einfach nur sprechen. So scheint der erste Dialog in NACHMITTAG (2007) die Charaktere auf bloße Übermittler zu reduzieren, den Sinn des Gesprochenen an den Gesichtern, den Körpern vorbeilaufen zu lassen – Der Zuschauer muss hier ständig zwischen dem Gesagten und der Situation eine Beziehung herstellen, sie wieder einbetten in einen Vorgang, den wir eigentlich als Kommunikation begreifen wollten, als einen Austausch zwischen zwei Individuen. Aber indem der Sprecher nun von der reinen Bedeutungsproduktion befreit wird, achten wir auf die Konnotationen, auf all das, was mitschwingt in diesen Sätzen. Eine Kälte die uns genauer begreifen lässt, wie seltsam das Leben doch manchmal ist, auch wenn nichts davon jemals so gesagt werden würde. Sätze die wie Hülsen zu Boden fallen, dort liegen bleiben und auf die wir treten, die das schnelle Fortkommen erschweren. Niemals sind die Dialoge dazu gemacht, die Geschichte voranzutreiben, spielen sich vielmehr ab in einem Raum, in dem sie reagieren wie chemische Substanzen.
Nun fühlt man sich davon zunächst sicher vor den Kopf gestoßen. Etiketten wie „affektiert“ und „prätentiös“ drängen sich auf und scheinen den Zugang zu Angela Schanelecs Filmen zu verstellen, ja geradezu zu verbarrikadieren. Erschwerend auch diese unbedingte Langsamkeit, die sich dort abspielt. Kaum Schnitte. Minutenlange Einstellungen, Fixierungen, kontrastiert von Auslassungen und Andeutungen. Eine Vagheit, die im ständigen Konflikt mit dem beinahe schon zwanghaften Beobachtungswillen steht, der bis zum Schmerzpunkt einen Ausschnitt aufnehmen will, ihn ausbrennt.
Doch während bei anderen Filmemachern der Vorwurf von handwerklichem Ungeschick und der Unfähigkeit von Dynamik angemessen erscheinen könnte – in Bezug auf das Kino von Angela Schanelec sollte man sich davor hüten. Schanelecs Vorgehen scheint einer Methode zu folgen, auch wenn die Filmemacherin dies sicherlich bestreiten würde. Scheinbar systematisch arbeitet sie gegen die Erwartungshaltung des Sehens an, in der jede Einstellung die länger als eine Minute dauert, wie eine Unendlichkeit wirkt, gar wirken muss. Das Kino hat eine eigene Erwartungshaltung des Sehens produziert, dem sich diese Regisseurin nicht beugen will. Wo eigentlich Schnitte die Räume aufsplittern und damit gleichsam zum Verschwinden bringen, indem sie die Geschichte durch sie hindurchtreiben, nimmt Schanelec das Tempo heraus und bringt damit etwas zum Vorschein, das wir sonst nicht bemerken oder das im Handwerk der Bewegung unterzugehen droht. So muss man auch ihren Beitrag im Kurzfilmexperiment DEUTSCHLAND `09 sehen: Räume werden dort ausgemessen - und die Zeit. Man könnte jetzt sagen, dass jeder Film dies tut. Bei Schanelec liegt diese Auseinandersetzung etwas anders.
Zeit und Resonanzräume
„Es ist nicht möglich, sich Menschen ohne Raum vorzustellen.“, sagt Schanelec, und man muss im Hinblick auf ihre Filme hinzufügen: Auch die Zeit ist ohne Raum nicht wahrnehmbar. Dies mag sich zunächst banal anhören. Aber man beachte nur die erste Einstellung bei NACHMITTAG, die Theaterbühne und die Bewegung darauf. Eine Person durchschreitet diagonal das Zentrum dieses Ausschnitts. Leute kommen und gehen. Die Statik wird in Bewegung versetzt und man merkt, wie sich die Stimmung ändert. Zeit wird sichtbar und läuft vor unseren Augen ab, wird weder erzeugt noch beschleunigt.
Schanelec ist der Überzeugung, dass der Raum und die Figuren im Wechselspiel stehen. So ist es auch verständlich, dass sie den Raum nicht manipulieren will, wenngleich sie einräumt, dass der bereits durch die Kameraposition und die Kadrierung verändert und beschnitten wird. Künstlich hergestellt wird er jedoch nicht, vielmehr als Akteur miteinbezogen - in akribischer Suche wird nach der passenden Resonanz gefahndet, in welcher der Geschichte ihre eigene Stimmung zukommt. Dabei greift Schanelec auf das zurück, was sie vorfindet. Um ihre Figuren entstehen zu lassen, übergibt sie sich im kreativen Prozess des Schreibens den Zusammenhängen, die schon da sind, denn „der Raum provoziert Situationen.“
Der Bildausschnitt beschneidet nicht nur das Bild. Auch die Möglichkeiten eines Schauspielers sich zu bewegen wird eingeschränkt. Beides bedingt sich sicherlich, aber auch hier wird deutlich, wie behutsam diese Regisseurin den Finger in die Wunde des Problems der Repräsentation legt. Das Widerspenstige am Vorgefundenen wird nicht einfach übergangen, sondern miteinbezogen. Die Räume mit ihrem spezifischen Licht, ihrer Atmosphäre - all das lässt eine andere Sichtbarkeit der Figuren möglich werden, neue Kontraste erscheinen.
Über die ausschließliche Verwendung des O-Tons erweitern sich die gezeigten Räume darüber hinaus: Die dargestellten Ebenen der Geschichte entwachsen sich ins Nicht-Dargestellte, ins Ausgelassene. Erneut werden wir in eine Differenz gezwungen, die uns die Einzelteile deutlicher erscheinen lässt. Interessant dabei ist, dass sich Schanelec dabei keiner postmodernen Methode à la David Lynch bedient, der bewusst Soundverfremdung einsetzt, sondern in gewisser Weise die Realität in die Fiktion transformiert, sie benutzt und nicht erzeugt. So hören wir eigentlich die Welt, wie sie vor der Türe liegt, aus der wir treten. Im Film kommt uns der reine O-Ton befremdlich vor, da wir Klangteppiche und musikalische Untermalung schon so sehr gewohnt sind, sodass diese Reduktion, wie ein Fehler wirkt.
Schanelecs Filme leben also von unzähligen Raumeröffnungen, deren Resonanz sie nutzt. Doch wird ein Raum für sie niemals zu einer billigen Metapher für das Innenleben ihrer Figuren. Vielmehr durchzieht eine theatralische Nüchternheit ihre Schauplätze, von der wir eigentlich sagen müssten, dass sie näher an den Dingen ist, als jeder Versuch, zwanghaft etwas hervorzuheben, zu betonen. Gerade in ihrem jüngsten Film ORLY – POÈMES 1 À 4 (2010) scheint die Vorliebe für den nüchternen, neutralen, öffentlichen Raum nahezu in Reinform vorzufinden. In der für sie typischen Ruhe werden vier lose miteinander verwobenen Geschichten Reisender, die auf ihren Abflug warten, beobachtet. Die Wartezeit füllt die hohe, weitläufige Abflugshalle des Flughafens am Südrand der Stadt Paris vollständig aus und lässt dem Raum eine nahezu katalytische Funktion für die erzählten Geschichten einnehmen.
Dabei wagt sich Schanelec mit ORLY in einen öffentlichen Raum, dem auf den ersten Blick nichts Vertrautes innewohnt. Und das, obwohl sie das Vertraute bisher häufig gesucht hat. So drehte sie häufig an privaten Orten, wie den Wohnungen von Freunden. Wie als würde sie diese Wärme in ihr bekannten Räumen benötigen, um sie dann absorbieren zu können und in diese, für ihre Filme typische Kälte umzuwandeln. In gewisser Weise setzt sie sich damit einer Stimmung aus, um ausgeschöpfte Räume wieder aufzubrechen und mit einer Tiefe zu versehen. So reagiert sie vielmehr, als sie wirklich konstruiert und ist damit ebenso in ihrer Bewegung eingeschränkt, wie es ihre Schauspieler sind, flankiert von den Grenzen des Raums. Schanelecs Filme sind kühle Schnitte durch unsere Wahrnehmung – und im selben Moment ein Schleifstein für die Wirklichkeit. Widerspenstig. Garstig. Und doch so leise.
Filmquellen:
Schanelec, Angela: Mein langsames Leben, 85 min., 2001.
Schanelec, Angela: Marseille, 95 min., 2004.
Schanelec, Angela: Nachmittag, 97 min., 2007.
Schanelec, Angela: Orly, Poem 1-4, 95 min., 2010.